Radiosendung: „Heute im Gespräch“:
 
zum Thema : „Der Krieg im Irak“
 
 
Moderator: Dr. Franz Eiselt
 
Studiogäste:
Univ.-Prof. Dr. Heinz Gärtner, Politologe, Institut für außenpolitische Beziehungen &
Dr. Helmut Windisch, Psychotherapeut, Existenzanalytiker und Logotherapeut

 
 
 
 
An unsere Hörerinnen und Hörer richten wir die Frage: „Welche Befürchtungen haben Sie?“
 
 
Moderator: Ziel der Angriffe ist die Absetzung Saddam Husseins, die Besetzung und die Umgestaltung des Iraks. Was halten Sie, Hr. Gärtner von der derzeitigen Vorgehensweise?
 
 
Gärtner: Na ja, das Kriegsziel war ja nicht so klar definiert. Vorerst ging es der USA darum, einen Regimewechsel herbeizuführen, dann, im Rahmen der Vereinten Nationen, wurde dies umdefiniert und man hatte gesagt, es wäre günstiger, vorerst auf Abrüstung zu setzen. Anschließend ist der ganze UN-Prozess in Gang gekommen. Es wäre wahrscheinlich günstiger für die USA gewesen, wenn man die eigene Position offen und in Klarheit vertreten hätte. Dann wären nicht derartige Vermutungen aufgekommen, wonach der US-Präsident dies seinem Vater zuliebe macht oder wegen der Kontrolle über die Ölfelder, usw.. Jetzt, wo der Kriegsprozess einmal begonnen hat, kann man nur sagen, wir hoffen alle, daß dieser sehr schnell vorbei ist, weil ein langer Krieg wohl alle Bedingungen verschlechtern würde.
 
 
Moderator: Ich frage mich, wie das gehen soll? Besetzung und Umgestaltung des Iraks, trotz der anti-amerikanischen Gefühle in der Region und der antidemokratischen Tradition?
 
 
Gärtner: Es gibt da zwei Interpretationsmodelle. Das optimistischere, welches auch von der Gruppe um den US-Präsidenten vertreten wird, sagt, wenn der Irak demokratisiert wird, wird sich eine Demokrtatiewelle über den Golf und dem Mittleren Osten bewegen und die autoritären und halbautoritären Staaten werden wie Dominosteine umfallen. Es gibt aber auch das andere Szenario, das sagt, die anti-amerikanischen Gefühle werden sich verstärken, so ein pro-amerikanisches Regime oder eine Regierung würde angefeindet werden und könnte faktisch nur überleben mit starker US-Unterstützung. Was die USA also vorschlagen werden ist ein Mittelweg. Eine Regierung die nicht anti-amerikanisch ist, aber auch nicht direkt abhängig von den Vereinigten Staaten und sie werden wieder versuchen, die Vereinten Nationen ins Spiel zu bringen.
 
 
Moderator: Was meinen Sie, können Soldaten Freiheit und Wohlstand bringen?
   
 
Gärtner: Na ja, das kommt auf die Bedingungen an. Manchmal ist das möglich, man weiß, der 2. Weltkrieg und das Hiltlerregime wäre ohne die Beteiligung der Alliierten nicht gefallen. Da gibt es schon den vielzitierten „gerechten Krieg“, daß auch Soldaten eben auch Wohlstand bringen können. Gleichzeitig muß ich natürlich sagen, daß nicht jeder Krieg und jedes Regime mit Hitler zu vergleichen ist und man sich dies sehr genau anschauen muß.
Nach einem Krieg müssen die Soldaten zuerst die rudimentären Einrichtungen wieder aufbauen, weil sie die einzigen vor Ort sind. Diese sollten später abgelöst werden durch mehr zivile Organisationen.
 
 
Moderator: Hr. Windisch, in Österreich löst diese Kriegsordnung Ängste aus, über eine kommende Flüchtlingswelle bis zur Wirtschaftsflaute. Wie sollen wir damit umgehen?
 
 
Windisch: Ich möchte kurz den Gesprächsfaden von Hrn. Prof. Gärtner weiterführen, auch in meine Richtung. Was bisher geschehen ist, ist ja im eigentlichen eine Infragestellung unserer Strukturen der Sicherheit und unseres bisherigen Weltbildes. Den Einmarsch der Truppen und die Lage zu beurteilen ist ein Vorgehen, welches wir als Laien kaum in der Lage sind. Ob die Gründe, welche seitens der alliierten Kräfte angegeben werden, auch tatsächlich der Realität entsprechen, oder ob es sich um die Fortführung eines Hegemoniestrebens der USA handelt, wie von Kritikern behauptet wird, bleibt ungeklärt.
Für uns Europäer, stellt sich schon die Gewissensfrage, da der Westen einen Krieg begonnen hat, insbesondere einen nicht international legitimierten Krieg.
 
 
Moderator: Fürchten Sie, daß die UNO damit ausgeschaltet ist?
 
 
Windisch: Nein, nicht im direkten Sinn. Meiner persönlichen Ansicht nach wäre bei einer thematischen Annäherung sowohl ein mögliches Hegemoniestreben als auch mangelnde ethnologische Kenntnisse seitens der USA in eine Diskussion mit einzubeziehen. Wir Europäer haben aus historischen Gründen eine hohe Sensibilität und Skepsis gegenüber Kriegen. Unter diesem Gesichtspunkt wird auch verständlich, wenn innerhalb der EU keine einheitliche Position vertreten wird. Diese in der EU eingenommene Haltung scheint auch diese Realität zu widerspiegeln, wie die weltweiten Demonstrationen mit insgesamt 15 Millionen Teilnehmern zeigen.
 
 
Moderator: Dieser Krieg löst also Ängste aus. Wie sollen wir damit umgehen?
 
 
Windisch: Was ist der Gegenstand der Angst? Meiner Ansicht nach liegt dieser in dem aufgekommenen Gefühl, daß das derzeitige Vorgehen die allgemeine Orientierung und Auffassung von Sicherheit in Frage stellt. Der Inhalt dieser Angst zeigt, daß diese Gefühle zweifellos berechtigt und gerechtfertigt sind.
Wie damit umzugehen ist betrachte ich als eine Herausforderung für den Einzelnen und läßt sich nur generell dahingehend beantworten, indem die persönlichen Fragestellungen und ggf. deren ethische Implikationen eine Zuwendnung und Auseinandersetzung erfahren.
 
 
Moderator: Unser erster Anrufer ist Hr. Karl-Heinz: Wie geht es Ihnen mit dem Krieg?
 
 
Hr. Karl-Heinz: Ich habe davor Angst. Aber unlängst habe ich gehört, daß die EU am Wiederaufbau mitwirken und Deutschland 25 % der Kosten tragen wird, wobei die beiden Kriegsbefürworter in der EU, England und Spanien finanziell entlastet werden.
 
 
Moderator: Hr. Gärtner, sind diese Befürchtungen übertrieben?
 
 
Hr. Gärtner: Nun, ich meine, da bisher kein verbindlicher Beschluß der EU getroffen wurde, daß bisher lediglich eine Einigung darüber besteht, wonach die EU humanitäre Leistungen erbringen und deren Kosten auf die Mitgliedstaaten aufteilen wird.
Wie ich aber noch ergänzen möchte, besteht auch der Sachverhalt, wonach die EU an die USA den Wunsch heran getragen hat, daß diese, trotz Träger der Kriegskosten, auch die Wiederaufbaukosten übernimmt.
 
 
Moderator: So ähnlich sieht dies auch die Anruferin, Fr. Helga.
 
 
Fr. Helga: Dieser Krieg wird für die EU auch dahingehend eine Auswirkung haben, daß wir mit einer Flüchtlingswelle zu rechnen haben, die auch uns erreichen wird. Natürlich vertrete ich den Standpunkt, daß die EU humanitäre Hilfe leisten kann und soll, aber bestehen bleibt, daß die Vereinigten Staaten eigenmächtig diesen Krieg in die Wege geleitet haben und diese deshalb auch sich ihrer Verantwortung nicht entziehen kann.
 
 
Moderator: Hr. Windisch, wird dies möglich sein, daß die USA die größte finanzielle Last übernehmen?
 
 
Windisch: Das ist eine schwere Frage. Wie wir beim Krieg gegen Afghanistan gesehen haben, konnten die publizierten Pläne über das Ausmaß an wirtschaftlicher und humanitärer Hilfe von den USA bisher nicht annähernd geleistet werden.
Hr. Gärtner: Das betrifft nicht nur die USA, sondern alle Staaten.
 
 
Moderator: Welchen Beitrag soll den Österreich zum Wiederaufbau leisten?
 
 
Windisch: Mit dieser Frage ist für mich ein wichtiger Sachverhalt unumgänglich, da Österreich ein für ein westliches Land ungewöhnlich hohes Prestige in der arabischen Welt genießt. Dies gründet sicher auf das politische Engagement des früheren Bundeskanzler Bruno Kreisky, der trotz seiner jüdischen Abstammung Bemühungen unternommen hat, den damaligen Terroristenchef Yassir Arafat als Politiker in die Diplomatie einzubringen. Als Ergebnis dieses Beitrags wäre die internationale Diskussion der Palästinenserfrage und ein gewisses Maß einer Entspannung zu nennen.
Dieses damalige Vorgehen scheint die arabische Welt bis heute nicht vergessen zu haben. Auch wenn wir gegenwärtig eine anwachsende Skepsis islamischer Staaten gegenüber dem Westen beobachten und –wie vorhin angesprochen – dieser Krieg auch die Gefahr einer Förderung islamisch-fundamentaler Gesinnung birgt, meine ich, daß auf der Grundlage der Neutralität Österreichs wir dahingehend einen Beitrag leisten könnten, als jene Strukturen und Einrichtungen zur Verfügung gestellt und angeboten werden, die eine zukünftige politische Diskussion gewährleistet.
 
 
Moderator: Hr. Gärtner, wie sehen Sie die Rolle Österreichs beim Wiederaufbau?
 
 
Gärntner: Grundsätzlich wäre zu sagen, daß Österreich sich darauf konzentrieren sollte, was es kann, was es die letzten Jahrzehnte gelernt hat. Österreich ist sehr gut qualifiziert für „Peace-Keeping“, für friedenserhaltende Maßnahmen, die auch- wie wir im Konflikt in Jugoslawien gesehen haben - mit Wiederaufbaumaßnahmen gekoppelt sind.
Während des Krieges bieten sich für Österreich keine Aufgaben, wir können keine Kampftruppen stellen. Erst nach Ende des Krieges wäre eine militärische Beteiligung möglich, aber ebenso natürlich eine zivile. Ich bedauere es z.B., daß jetzt österreichische Soldaten aus Afghanistan abgezogen wurden. Friedenserhaltende Maßnahmen sind ein Feld, wo sich Österreich international einen Namen machen könnte.
 
 
Moderator: Am Telefon ist der Hr. Leopold. Welch einen Vorschlag möchten Sie unterbreiten?
 
 
Hr. Leopold: Wenn die USA diesen Krieg für sich entscheiden können, was ich stark hoffe, würde ich sagen, daß der Wiederaufbau durch die vorhandenen Erdölreserven refinanziert wird.
 
 
Moderator: Nun, ich glaube, daß die USA sowohl auf das gigantische Vermögen der Familie Hussein wie auf die Erdölreserven des Landes für den Wiederaufbau zugreifen werden.
 
 
Hr. Gärtner: Die allgemeine Forderung, wonach andere Länder entlastet werden und daß der Irak den Wiederaufbau selbst finanziert, ist nicht möglich. Die vorhandenen Erdölraffinerien sind in einem derart desolatem Zustand, daß es mehr als zehn Jahre brauchen würde, bis der Irak Öl nach heutigem Standard fördern könnte. Die Instandsetzung und Modernisierung beziffert sich mit 6 Milliarden US-Dollar. Betreffend des Wiederaufbaus bedeutet dies, daß selbst für die Erdölförderung vorerst Kosten anfallen.
Zum Zweiten möchte ich auf jeden Fall sagen, daß die USA auf jeden Fall den Eindruck vermeiden sollten, daß sie auf das Erdöl zugreifen wollen. Sie sollten vorerst eine internationale Verwaltung unter dem Schutzschirm der Vereinten Nationen einrichten und anschließend, so bald als möglich, die Verwaltung des Erdöls den Irakis zurückgeben.
 
 
Moderator. Dieser Krieg löst auch Ängste in der österreichischen Bevölkerung aus und hierzu möchte sich Fr. Liane äußern:
 
 
Fr. Liane: Ich fühle mich über zu treffende Maßnahmen nicht unterrichtet. Was tue ich, wenn der Krieg eskaliert und in Folge eine Giftwolke nach Österreich zieht? Ist es angebracht einen Vorrat an Lebensmitteln anzulegen? Wie soll ich mich verhalten, wenn sich etwas ereignet, weshalb ich das Haus nicht verlassen kann?
 
 
Moderator: Hr. Windisch, können Sie Fr. Liane auf ihre Fragen antworten und ihr ihre Angst nehmen?
 
 
Windisch: Die Angst kann ich Fr. Liane leider nicht nehmen. Jedoch die der Angst erwachsende Argumentation, die Fr. Liane vorbrachte, dahingehend ergänzen, als diese kaum der faktischen Realität entspricht. Es finden sich keine Anzeichen, daß der Krieg nach Europa getragen wird.
 
 
Moderator: Also auch keine Terroranschläge?
 
 
Windisch: Das läßt sich nur schwer abschätzen und ich wage auch keine Prognose, tendiere jedoch persönlich zu der Ansicht, daß ein Terroranschlag in Europa eher nicht passieren wird, da Europa ein anderes Verhältnis zur arabischen Welt unterhält, als die Vereinigten Staaten.
 
 
Moderator: Hr. Gärtner, wie beurteilen Sie dieses Thema?
 
 
Gärtner: Nach den Berichten, die uns vorliegen ist es sehr unwahrscheinlich. Österreich ist sicher kein Primärziel. Schlimmstensfall ist Österreich ein Aufenthaltsland von Terroristen, die dann woanders tätig werden. Aber bestimmte Städte in den USA, wie New York, die sind tatsächlich gefährdet und einzelne Personen haben auch schon Maßnahmen getroffen, z.B. sich Gasmasken gekauft.
 
 
Moderator: Hr. Windisch, wie belastend sind die Berichte über den Krieg für Kinder und Jugendliche?
 
 
Windisch: Grundsätzlich meine ich, daß das Maß der psychischen Belastung eher ein hohes ist. Die mediale Präsenz des Krieges ist bereits gegeben. Es ist nicht mehr möglich, daß sich jemand von den mit dem Krieg einhergehenden Stimmungen fernhält.
Wie ist diese Belastung der Kinder und Jugendliche zu verstehen? Für diese ergeben sich eine Reihe von Fragen, aus der Atmosphäre bis zu den ethischen Implikationen, die eine Kriegsführung aufwirft. Es ist der Westen, der einen Krieg begonnen hat und die Anwendung von Gewalt nun zu rechtfertigen sucht.
Anderseits sind wir mit Bildern konfrontiert, die jenseits der Realität des Kriegsschauplatzes, die Kampfhandlungen verharmlosend darstellen oder gar eine Idylle ausstrahlen, Macht verheißen, Unbesiegbarkeit und Unverwundbarkeit, usw. suggerieren.
Dem gegenüber fordern wir von der jungen Generation die Akzeptanz von Strategien für Problemlösungen, die von Gewalt Abstand halten und erheben den Anspruch, wonach diese durch Gespräch und Dialog eine Lösung anzustreben haben.
 
 
Moderator: Und wie ist dieser Zwiespalt zu überwinden, was kann hier helfen?
 
 
Windisch: Hier könnte in erster Linie eine Auseinandersetzung, z.B. innerhalb der Familie oder mit Freunden auf dialogischer Basis erfolgen. Dies meint konkret, daß die jeweils vorhandene persönliche Problematik angesprochen, thematisiert und diskutiert wird.
 
 
Moderator: Am Telefon meldete sich der Hr. Anton, der eine Frage hierzu hat.
 
 
Hr. Anton: Unsere Tochter ist dreißig Jahre alt und wir haben bisher uns die Kriegsberichterstattungen gemeinsam angesehen. Aber unser Sohn, mit fünfzehn, ist mit der Situation sehr überfordert. Er sollte Schularbeiten machen und wird durch die Ereignisse abgelenkt. Gehörte er bis vor Kurzem zu jenen Jugendlichen, die am Computer Spiele verwenden, wo sie selbst kämpfen und schießen, so kommt jetzt diese Wirklichkeit. Da hat seine Überforderung begonnen. Kinder und Jugendliche werden auf keiner Weise vorbereitet, auch nicht in der Schule. Man müßte den jungen Menschen sagen, daß dies der letzte Krieg sein muß. Wir Menschen sind jetzt zivilisiert, wir können nicht einfach dreinschlagen und niederbomben. Die Amerikaner haben im zweiten Weltkrieg geholfen, das bedarf keiner Diskussion. Die Vernichtung ganzer Städte durch Bombardements ist keine Befreiung. „Du sollst nicht töten“, kommt einer Befreiung näher, wobei der Weg dazu der gewaltlose Widerstand von Mahatma Gahndi wäre.
 
 
Moderator: Hr. Anton, sprechen Sie mit Ihrem Sohn darüber?
 
 
Hr. Anton: Offen gesagt, bisher nicht. Er ist wirklich überfordert. Wenn er die Bilder im Fernsehen sieht, wendet er sich ab und zieht sich zurück. Nun, bei nächster Gelegenheit werde ich mit ihm sprechen. Aber auch ich bin in der Zwischenzeit so weit, daß ich der Berichterstattung nicht mehr folge.
 
 
Moderator: Hr. Windisch, sie meinten, daß die mit Kindern und Jugendlichen direkt in Beziehung stehenden Personen mit diesen sprechen sollen. Was können die Erwachsenen ihnen sagen?
 
 
Windisch: Aus existentieller Sicht zeigt sich, daß die aufgezeigte Problemstellung im Gesamten sich aus mehreren Ebenen bildet und daher nicht allgemein lösbar ist. Der angesprochene Vorschlag eines „letzten, endgültigen Krieges“ um anschließend in die „Zivilisation“ einzutreten bietet wohl eher Grund, vorsichtig und behutsam zu sein. Seit dem 2. Weltkrieg haben 67 Militärinterventionen seitens der USA stattgefunden, davon 40 in Übersee.
Wenn ich auf die Verhaltensänderung des Sohns von Hrn. Anton nochmals zurückkomme, so scheint hier ein größerer Konflikt akut geworden zu sein. Zwischen einem computerisierten Kriegsspiel und der Realität eines Krieges liegen wenig Gemeinsamkeiten. Das Problem könnte durch eine persönliche Unvereinbarkeit und den immanenten ethischen Fragen ausgelöst worden sein, welche im nun kommenden Gespräch dann auch thematisiert werden können.
 
 
Moderator: Hr. Gärtner, wegen diesem Krieg hat Österreich den Neutralitätsfall ausgerufen. Was bedeutet dies?
 
 
Gärtner: Österreich ist einerseits Mitglied der Vereinten Nationen, anderseits neutral. D.h. Österreich darf sich an keinem Krieg beteiligen, der nicht von den Vereinten Nationen autorisiert wird. Die Charta der Vereinigten Nationen steht auch über dem nationalen Recht und deshalb muß sich Österreich in diesem Konflikt aus zwei Gründen neutral verhalten: Einerseits durch die Verpflichtung der Mitgliedschaft, wodurch die eingebrachte Resolution nicht für eine Kriegsführung als ausreichend anerkannt wird, anderseits als neutraler Staat, der keinen der beiden Staaten unterstützten darf.
 
 
Moderator: Weshalb muß dann ein neutrales Land dann überhaupt den Neutralitätsfall ausrufen?
 
 
Gärtner: Wenn die Vereinten Nationen eine zweite Resolution verabschiedet hätten, wo die Anwendung von Gewalt mandatiert und autorisiert worden wäre, hätte sich Österreich an diesem Krieg beteiligen können. Im Rahmen seiner Möglichkeiten bedeutet dies z.B. die Öffnung des Luftraums, die Erlaubnis des Truppentransports durch das Staatsgebiet, usw.. Insofern hätten wir uns dann nicht neutral verhalten, sondern für ein Mitglied der Vereinten Nationen Position ergriffen.
 
 
Moderator: Hr. Windisch, wie bewerten Sie die Neutralität Österreichs?
 
 
Windisch: Der Status der Neutralität hat in den letzten Jahren an Popularität eingebüßt, auf Grund der ökonomischen und politischen Entwicklung in Europa. Aber gerade bei diesem Kriegsfall zeigt sich, daß diese für ein kleines Land wie Österreich auch eine Chance sein könnte, internationales diplomatisches Parkett zu betreten. Der Konflikt von dem wir sprechen ist meiner Ansicht nach ein gravierender: Wenn wir nicht wollen, daß sich abermals die Welt in zwei Blöcke spaltet, diesmal in eine islamische und eine westliche Welt, dann könnte die Neutralität jenen Boden bieten – und zwar unabhängig der Vereinigten Staaten und wirtschaftlicher Interessen - um eine Diplomatie zu ermöglichen, die mithilft, die Dynamik weiterer Konflikte hintanzuhalten. Damit meine ich, daß in Zukunft neben den politischen Entscheidungen eine dringende Erfordernis vorhanden sein wird, daß auf verschiedenen Ebenen, wie z.B. der Theologie, u.a., eine andauernde Diskussion aufgenommen wird. Wenn der Weg über die internationale Politik eröffnet werden und das Potential unserer Universitäten dafür herangezogen werden kann, sehe ich schon die Möglichkeit zu einem Prozeß der Annäherung und Krisenbewältigung.
 
 
Moderator: Hr. Gärtner, ist das für Sie ein Ansatz?
 
 
Gärtner: Nun, ich sehe die Neutralität eher minimalistisch. Meiner Ansicht nach ist die Neutralität sicher nicht hinderlich in der heutigen Welt, kann manchmal nützlich sein, muß aber nicht nützlich sein. Auch Bündnisstaaten sind sehr gute Vermittler, wie wir z.B. am Oslo-Prozess betreffend Mittlerer Osten gesehen haben. Und minimalisistisch heißt, daß ein neutraler Staat nicht an einen Krieg mit anderen Staaten teilnehmen, keinem Militärbündnis beitreten und auch nicht dauerhaft fremde Truppen auf seinem Staatsgebiet stationieren darf. Keine existierenden politischen Optionen für Österreich würden verlangen, daß wir die Neutralität aufgeben, außer, wir wollen der NATO beitreten. Hier gibt es Beistandsverpflichtungen, wo gefordert ist, an Kriegen mit anderen Staaten teilzunehmen, was ein Problem sein kann, wie wir an Frankreich, Deutschland und Belgien gesehen haben. Diese wollten nicht an der Verpflichtung zum Schutz der Türkei teilnehmen. Also da haben wir ein wenig Spielraum wenn wir nicht Mitglied eines Militärbündnisses sind. Die Europäische Union wird keines, zumindest nicht in einer absehbaren Zeit. Die Frage der Aufgabe der Neutralität ist nicht relevant.
 
 
Moderator: Der Krieg im Irak hat die NATO gespalten und auch die EU. Eine Anruferin möchte uns dazu ihre Sichtweise mitteilen.
 
 
Fr. Helga: Ich habe Angst, da sich Europa eigentlich nicht spalten sollte. Die EU sollte sich darauf besinnen ein eigenes Militär zu begründen. Im ehemaligen Jugoslawien droht ein weiteres Problem, wobei die bisherige Entwicklung die Vermutung zuläßt, daß diesmal die USA sich zurückhalten wird. In Bälde kommen neue Mitgliedsstaaten zur EU, welches die Möglichkeiten eines gesamteuropäischen Heeres vergrößern würde. Ein gemeinsames Militär ist in Anbetracht der weltweiten Bedrohung meiner Ansicht nach unerläßlich.
 
 
Moderator: Ja, die USA haben angekündigt, Truppenverbände aus Deutschland abziehen zu wollen. Hr. Gärtner, wie realistisch ist die Gründung einer EU-Armee, die für eine kontinentale Sicherheit sorgen kann?
 
 
Gärtner: Die derzeitige Entwicklung geht nicht Richtung europäischer Armee, sondern eher in das europäische Krisenmanagement. Das meint Maßnahmen, wodurch die Europäer in der Lage sind, mit kleineren Konflikten, wie z.B. am Balkan, selbst fertig zu werden. Die EU hat von der NATO Mazedonien übernommen und wird voraussichtlich nächstes Jahr Bosnien übernehmen und da muß man natürlich sehen, daß die Möglichkeiten der EU auch begrenzt sind. Mit den gegenwärtigen Militärbudgets geht es nicht, daß die EU eine Armee aufstellen wie die Vereinigten Staaten. Wir werden dies weder finanziell, noch technisch schaffen können. Die Frage ist auch, ob wir dies überhaupt wollen.
 
 
Moderator: Am Telefon ist jetzt die Fr. Renate:
 
 
Fr. Renate: Grundsätzlich wollte ich sagen, daß, wenn es um einen Regimewechsel im Irak geht, dies ausschließlich von der USA bewerkstelligt werden kann. Wie wir alle gesehen haben, hat Europa hier nicht Hilfe angeboten. Somit bleibt die Frage, wer diesen Regimewechsel durchführen kann. Ich glaube nicht, daß die USA aus Kriegslust handelt. Nach meinen Informationen müssen die Menschen im Irak sehr unter dem Regime leiden, weshalb ich diesen Krieg als Befreiungskrieg verstehe.
 
 
Moderator: Hr. Gärtner, ist der Krieg im Irak als eine Folge des 11. September zu sehen oder als Fortsetzung des Golfkrieges von 1991?
 
 
Gärtner: Das ist eine lange Geschichte, werde aber versuchen dies kurz zu machen. Es hat sicherlich eine Gruppe gegeben, die einen Regimewechsel im Irak gefordert hat, bevor es die Terroranschläge am 11. September gegeben hat. Also auch die Sicherheitsberaterin Rice hat in einem Artikel der Zeitschrift „Foreign Affairs“ im Frühjahr 2000 geschrieben, daß es keine Stabilität im Mittleren Osten gibt, wenn nicht Saddam Hussein entmachtet wird. Aber der Terroranschlag hat dies erst ermöglicht, indem die Angst der USA vor Massenvernichtungswaffen und vor deren Handhabung durch Terroristen geschürt wurde. Ob sich derartige Waffen tatsächlich im Irak befinden oder Saddam Hussein Kontakte zu Terroristen unterhält ist nicht wirklich bewiesen worden, wie wir gesehen haben. Aber dies ist für die USA irrelevant, es genügt die Vermutung, daß es zutreffen könnte. Durch den 11.September hat diese Gruppe politischen Einfluß gewonnen und der Kongreß hat eine Resolution verabschiedet. Ich würde also die These wagen, daß, wenn es den Terroranschlag am 11.September nicht gegeben hätte, im Kongreß eine Resolution nicht mit Mehrheit verabschiedet worden wäre.
 
 
Moderator: Wie beurteilen Sie den Krieg ohne Mandat der UNO?
 
 
Gärtner: Na ja, es gibt unterschiedliche Interpretationen und die eine Möglichkeit ist, daß man die jetzige Resolution 1441 auch so interpretiert, daß die Vereinten Nationen nicht dagegen sind. Andere Völkerrechtler würden sagen, daß keine ausreichende Mandatierung für die Anwendung von Gewalt vorliegt.
 
 
Moderator: Hr. Windisch, welche Chance sehen Sie für Österreich in diesem Konflikt?
 
 
Windisch: Wie schon vorhin deutlich wurde, vertrete ich eine ideelle Perspektive. Meines Erachtens wäre es wünschenswert, wenn Österreich Bemühungen unternehmen würde, eine erweiterte Definition der Neutralität zu vertreten und eine neue Position einzunehmen. Aus meinem Verständnis werden die herannahenden zukünftigen Konflikte mit der islamischen Welt nicht mehr ausschließlich auf politischem Wege zu lösen sein, sondern die dringende Auseinandersetzung im Sinne einer internationalen Diskussion auf theologischem, philosophischem, soziologischem und ethnologischem Gebiet erfordern. Eine derartige Aufgabenstellung würde einer Orientierung folgen, die über jeden Verdacht eines Handelns aus loyalen oder wirtschaftlichen Motiven enthoben ist und scheint geeignet, eine vertrauenswürdige Basis zu schaffen, deren internationale Anerkennung gewährleisten werden könnte.
 
 
Moderator: Wir danken unseren Studiogästen für Ihren Besuch.
 
 
 
Impressum: Bei der ORF-Radiosendung „Heute im Gespräch“ handelt es sich um eine Live- Sendereihe, welche Hörerinnen und Hörern die aktive Teilnahme ermöglicht. Obige Sendung wurde im Auftrag des Studiogastes für private Zwecke transkribiert und zu Gunsten der Lesbarkeit redigiert. Sämtliche Rechte vorbehalten.
Sendedatum: 21.03.2003